GRANDE NATION

P R O L O G . 12 . JUNI . 1952

"Acht.... Sieben.... Sechs.... Fünf.... Vier.... Drei.... Zwei.... Eins.... Landung!"
Die Mondoberfläche, eben noch auf dem Bildschirm rasch näherkommend, war jetzt im Schatten der Landefähre verschwunden.

Atemlose Stille im Bistro.

Der Moderateur erklärte zum zwanzigsten Male, was jetzt folgen würde. Der Leiter der Mondexpedition würde nun seinen Raumanzug anlegen und langsam die Leiter hinunter steigen.

Endlich änderte sich der Bildschirm - ein Greifarm hatte eine Kamera ausgefahren, die den Augenblick, den ersten Schritt eines Menschen auf einem anderen Himmelskörpers, festhalten sollte.

Der Raumanzug wurde sichtbar. Weiß, mit den rot-weiß-blauen Insignien der großen Nation auf dem Buckelartigen Behälter der Sauerstoffversorgung.

Noch zwei Stufen. Eine Stufe.

Dann war es soweit - der erste Mensch tat seinen Schritt auf dem Mond. Ein kurzes Knacken, dann ertönte die Stimme des Raumfahrers aus den Lautsprechern.

"Ein kleiner Schritt für mich - aber ein großer Schritt für die große Nation."

Der Captain sprach die Worte in seiner Muttersprache. Aber das war kein Problem. Jeder verstand diese Worte.

Schließlich herrschte Frankreich, die Grande Nation, seit über einhundertfünfzig Jahren über das europäische Festland.

Die Raumfähre Devancer 1 war auf dem Mond gelandet und hatte damit das Rennen zwischen der britischen Krone, der Grande Nation und dem russischen Zarentum entschieden.

04. JULY 1999 PORT NAPOLEON 14:16

"Monsieur Andriz?"

"Ja." Ich dreht mich zu dem Fragenden um. Eine äußerst gutaussehende Brünette hielt mir mit einem charmanten Lächeln eine Digitalkladde unter die Nase.

"Sie müssen sich für den Zugang zum Raumbahnhof verifizieren."

"Natürlich." Ich lächelte. In der Ferne sah ich die Raumfähre Triomphe auf dem Weg zur Startrampe VII. Obwohl ich bereits zum dritten Mal zu Gast war auf dem französischen Raumbahnhof auf Kuba, musste ich jedes Mal von Neuem durch die aufwendigen Sicherheitsprozeduren. Seit der Landung eines britischen Expeditionskorps in der Schweinebucht im Jahre 1962, sechs Jahre nach der Mondlandung und mitten in der Vorbereitungsphase zur ersten Marsexpedition, nahm die Legion die Sicherheit tödlich ernst.
Also legte ich meine Hand auf die Kladde. Drei Sekunden später kam die Freigabe und ich durfte Port Napoleon betreten.

Port Napoleon. Der Stolz Frankreichs. Auf über einhundert Quadratkilometern versammelte sich die technische Elite der Welt. Nach der ersten Landung auf dem Mars war es der französischen Raumflugkommission nicht schwergefallen, die besten Köpfe auf dem Gebiet der Raumforschung anzuwerben - ungeachtet ob aus den befreundeten oder den verfeindeten Nationen. Die Raumfahrt - die heilige Kuh der Franzosen. Die kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen, welche die ungeheure Verschwendung von Kapital beklagten, wurden in der Nationalversammlung niedergebuht. Der Rest wurde ignoriert, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Nordstaaten von Amerika Frankreich den Rang in der Hochtechnologie abzulaufen drohten - und dass, obwohl die NSA außer einem Satellitengeschäft keinerlei Anstrengungen in der Raumfahrt unternahmen.

Auf dem Weg zum Trainingszentrum musste ich noch viermal meinen Ausweis vorzeigen. Kein Problem. Schließlich stand ich an der Startrampe VII, wo ich gerade rechtzeitig kam um das Einrasten der Triomphe in die Startschiene zu verfolgen. Die Triomphe war die erste Fähre der Continent-Klasse. Absolute Spitzentechnologie. Fähig, auf dem Mars zu landen, Erze an Bord zu nehmen und wieder zur Erde zurückzukehren. Nuclear-Antrieb. Das Beste vom Besten.

Minilink hatte dem Schichtführer der Bodenmannschaft meine Ankunft gemeldet und mein Aufgabenschema übertragen. Der Mann zweifelte keinen Augenblick die Angaben des Zentralcomputers an und teilte mich der Gruppe 34 (NCI, Reaktorsicherheit) zu. Ich benötigte fast zwanzig Minuten, um mich in den Strahlenschutzanzug hineinzuzwängen. Anschließend brachte uns ein Aufzug zu den Reaktorschleusen in sechzig Meter Höhe.

Von oben konnte ich beobachten, wie andere Teams ihre Startvorbereitungen abschlossen. Dann war es soweit - der Lastenaufzug öffnete sich und die Transportbehälter für die Brennstäbe wurden herausgeschoben. Zusammen mit den anderen Teammitgliedern schob ich die Rollwägen in die Schleuse. Während sich die äußeren Türen schlossen sah ich noch, wie der Personenaufzug mit den ersten sieben Mitgliedern der Crew nach oben fuhr. Allesamt sympathische, junge Menschen. Einen Augenblick wurde ich unsicher, dann riss ich mich zusammen.

Astralink gab uns die innere Schleusentüre frei, dann standen wir im Herz des modernsten Antriebssystems der Welt. Wir rollten die Brennstäbe auf die vorbereiteten Positionen. Mit einem leisen Zischen schoben sich hydraulische Arme aus den Wänden und zogen die Stäbe aus den Führungsschienen. Jeweils sechs Stäbe, eine Gruppe in sattem Rot glühend, die anderen in einem sanften Grün schimmernd. Mit mechanischer Präzision sorgte Astralink dafür, dass die Stäbe sich nicht berührten - das hätte außerhalb des Teilchenbremsers zu einer Katastrophe geführt.

Es war soweit.

Ich griff in meine Werkzeugtasche und zog einen Schraubenzieher heraus. Diesen rammte ich in die Seite meines Strahlenschutzanzuges. Mein Nachbar hatte die plötzliche Bewegung aus dem Augenwinkel registriert und blickte mich entsetzt an. Ein Loch im Strahlenschutzanzug bedeutete eine tagelange und schmerzhafte Entseuchung - und ich hatte mir dieses Loch gerade selbst verursacht.

Ohne mich um seine Reaktion zu kümmern, zog ich mein Linkpag aus der Seitentasche meiner Werkuniform. Mit einem tausendfach geübten Griff zerbrach ich den Kopfstab und zog einen kleinen, sanft grün leuchtenden Stab hervor. Nun schien mein Nachbar zu begreifen - er rief seinen Kollegen eine Warnung zu, während er sich in Bewegung setzte - auf mich zu.

Doch ich war eindeutig im Vorteil - mein Ziel war riesengroß, nicht verfehlbar - und alles was ich tun musste war den Stab sechs Meter weit zu werfen.

Die Kurve, die die verkleinerte Version des grünen Antistabes durch die Luft zog, schien als helle Linie sichtbar zu werden. Die Mitglieder des Teams hatten keine Zeit mehr, aktiv zu werden. Sie konnten nur mit entsetzten Blicken verfolgen, wie der grüne Stab einen der roten Hauptbrennstäbe berührte.

Ruhe.

Eine Sekunde.

Dann war da nur noch dieses Licht.

Es war so hell.

Dann war da nichts mehr.

09. JULY 1999 PARIS

"... finden die Anwesenden Trauergäste keine Worte für das Entsetzen, das Unfassbare, das Grauen, welches vor fünf Tagen über die große Nation hereingebrochen ist. Port Napoleon liegt in atomar verstrahlten Trümmern. Die Bekanntmachung der Armee, dass die über siebentausend Leichen wegen der tödlichen Radioaktivität nicht nach Frankreich überführt werden dürfen, hat kurzzeitig für Unmut geführt. Unmut, der aber bald wieder von der Trauer erstickt wurde. Zu den menschlichen Verlusten, die eine tiefe Lücke in die Elite unserer Nation reißen, kommen die enormen wirtschaftlichen Schäden. Kuba ist verstrahlt, die radioaktive Wolke bewegt sich über Florida hinweg nach Nordwesten. Die Bürger der Konföderation fliehen zu Millionen vor dem unsichtbaren Tod. Es ist entsetzlich - und Frankreich zeigt sich gelähmt wie nie zuvor." TV2.Nachrichten

14. JULY 1999 PARIS

"Überall in Frankreich wurde heute Jagd auf die hier lebenden Alemannen gemacht. Die tiefe Trauer um die Toten nach der Atomexplosion in Port Napoleon schlug in blanken Hass um, nachdem Aufzeichnungen geborgen werden konnten die bewiesen, dass ein Techniker alemannischer Abstammung die Explosion in voller Absicht in einer Selbstmordaktion durchgeführt hat. Nachdem die Wohnung des Technikers durchsucht wurde, haben Mitglieder der Staatssicherheit ein Bekennerschreiben sichergestellt, in dem der Techniker selbst Stellung zu seinem Attentat nimmt und dieses als "notwendigen Schritt, die Freiheit der Völker Europas vom französischen Joch zu ermöglichen." bezeichnet. Frankreich sinnt auf Rache - und die Franzosen haben jetzt ein Ziel." TV2.Nachrichten

21. JULY 1999 COLOGNE

BEFEHL 542CLA/1999 - Sofortiger Rückzug der Legion aus dem Raum Cologne ist sofort einzuleiten.

"Mit dieser Sendung stellt TV2 seine Berichterstattung aus den alemannischen Gebieten ein. Nach dem Tod dreier Berichterstattungsteams in Muniq, Francfurt und Cologne und der Aussage der Legion, für die Sicherheit unserer Teams nicht mehr garantieren zu können, bleibt uns keine andere Wahl. Alemannien brennt - ebenso Catalonien, Norditalien und Algerie. Die Mordattacken auf in Frankreich lebende Bürger der Kolonien haben in deren Herkunftsländern ...

.
willkommen auf atlantis

Alle Geschichten können weitergeführt, diskuttiert, ergänzt werden - entweder im Forum oder durch Einsendung einer Mail.

© 2001 rod andriz& vector marec. vervielfältigung, egal welcher art, nur mit erfolgtem einverständnis.