neodoxon - die geschichte findet nicht statt

ATLANTIS, OFF-SHORE

P R O L O G . 12 . JUNI . 1978

"Was ist das denn?" Peer Andressen zog einen Pinsel aus seiner Arbeitstasche und strich vorsichtig über seinen Fund. Die Petroleumlampe warf ein unruhiges, flackerndes Licht in die Höhle, in der der Schwede seit drei Tagen damit beschäftigt war, die Begräbnisstätte eines persischen Prinzen freizulegen. Reine Assistenten-Arbeit, erschwert durch die stickige Höhlenluft, die hier, in über zweitausend Metern Höhe, ohnehin viel zu dünn für den Europäer war.

Peers Fund war eine Art Grabteller, mosaikartig besetzt mit seltsamen Steinen, die in verschiedenen Blautönen leuchteten.

Leuchteten?

Tatsächlich schienen die Steine eine eigene Leuchtkraft zu entwickeln. Peer griff nach einem Wachstuch, das eigentlich zum Einwickeln der Fundstücke gedacht war und warf es über die Petroleumlampe.

Tatsächlich. Die Steine leuchteten im Dunkeln. Nachdenklich starrte Andressen den Fund an. Dann fasste er einen Entschluss und steckte den Teller in seine Leinentasche.

Vierzehn Tage später wurden die Ausgrabungen beendet. Die Unruhen im Iran waren eskaliert und das Institut für Archäologie in Teheran musste schliessen. Die Polizei konnte für die Sicherheit von Ausländern in den entlegenen Gebieten des Landes nicht mehr garantieren. Andressen verliess das Land per Zug in Richtung Türkei. Die Grenzsicherheit, vor allem mit der Suche nach Islamisten beschäftigt, verzichtete auf eine Durchsuchung des Gepäcks des Schweden.

01.
ENTDECKEN
1998.02.11
Geologisches Institut, Berlin

Rubens Schroeter wickelte die Probe vorsichtig aus dem Wachstuch. Diesmal versprach die Arbeit etwas interessanter zu werden - die zu untersuchende Probe war definitiv kein langweiliger Gesteinsbrocken aus irgendeiner Kohlegrube in Polen. Schroeter legte das Objekt auf seinen riesigen Arbeitstisch und richtete eine Halolampe darauf.

Eine Art Teller, wahrscheinlich Messing, verziert mit einem seltsamen Mosaik aus verschieden blauen Steinen. Irgendetwas schien nicht... Schroeter griff nach der Lampe und schaltete sie aus.

Die Steine leuchteten. Schwach - aber immerhin. Sofort griff sich Schroeter eine Bleischürze aus dem Schrank. Der Teller war aus der Archäologie gekommen, ein Fundstück, dass die Kripo auf dem Kunstschwarzmarkt bei einem stadtbekannten Hehler beschlagnahmt hatte. Persisch - aber eben nicht ganz. Da der zuständige Kurator mit den Steinen nichts anfangen konnte, hatte er das ganze Stück an die Geologie weitergeben lassen mit dem Auftrag, den Alter des Tellers und die Natur der Steine zu bestimmen.

Ein blaues Leuchten.

Schroeter, nun vorsichtig geworden, schob zwei Bleiglasplatten auf einem Fahrgestell zwischen den Arbeitstisch und der Eingangstüre - schliesslich herrschte draussen Durchgangsverkehr - und wenn diese Steine wirklich radioaktiv...

Der Geologe musste erst die Batterien im Geigerzähler auswechseln - was sich als grösseres Unterfangen erwies: Das Gerät stammte noch aus den Beständen der ehemaligen DDR und fasste nur GE-Batterien - klotzige, unhandliche und nicht sehr effektive Teile. Schliesslich schlug der Geigerzähler bei Schroeters Test - den Leuchtziffern seiner Armbanduhr - positiv an. Er stellte das Gerät auf den Tisch und zog die Sonde über den Teller.

Kein Ausschlag.

Erneut die Uhr - ein leichter Aussschlag.

Schroeter schüttelte den Kopf und griff nach dem Telefonhörer.

02.
REISEN
2000.04.31
Astara, Azerbeydzhanskaya
 

 

 

Der Hubschrauber passierte die Sümpfe südwestlich von Neftechala mit Höchstgeschwindigkeit.
"Also das ist eine ganz verrückte Sache!" brüllte mir Claude zu. Das Geknatter des alten russischen Helikopters machte eine normale Unterhaltung unmöglich. "Dieser Geologe hat den Teller also tagelang untersucht und einige Proben des Minerals an das Forschungszentrum in Karlsruhe geschickt. Muss ein ganz schöner Trubel gewesen sein - all diese Millionen schweren Apparate konnte das Zeugs einfach nicht zuordnen. Also haben sie angefangen nachzuschauen, was sie damit anfangen können. Weiss Gott, was an Möglichkeiten haben, ich habe versucht den geologischen Bericht zu lesen, das Ding ist vierhundert Seiten dick.
Also - nach fast zehn Monaten hat es einer der Physiker an einen Freund gegeben, so einen Spinner für abstruse Theorien. Und der hat es dann herausgefunden."
Der Hubschrauber hatte den Sumpf nun hinter sich gelassen und flog in geradem Südkurs den Strand entlang nach Süden. Diese Gegen konnte man nicht gerade als Hort der Zivilisation bezeichnen - ein paar wenige Dörfer mit schlechter Infrastruktur und ziemlich vielen Arbeitslosen.
"Also dieses Zeugs stellt eine Art energetischen Katalysator dar. Bransons hat es versucht mir zu erklären. Also es gibt da diese höheren Energieebenen. Wie ein Stausee - wir sind auf einem niedriegerem Niveau und dieses blaue Zeugs sorgt dafür, dass es ein Loch im Staudamm gibt - durch dieses fliesst Strom in Turbinen und den kann man nutzen." Claude strahlte im Glauben, dass er etwas so kompliziertes begriffen hatte. Ich lächelte zurück, im Wissen, dass man Claude absoluten Bullshit erzählt hatte. Stausee!

 

(wird fortgesetzt)

 

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