"Was ist das denn?" Peer Andressen zog
einen Pinsel aus seiner Arbeitstasche und strich vorsichtig über
seinen Fund. Die Petroleumlampe warf ein unruhiges, flackerndes
Licht in die Höhle, in der der Schwede seit drei Tagen damit
beschäftigt war, die Begräbnisstätte eines persischen
Prinzen freizulegen. Reine Assistenten-Arbeit, erschwert durch die
stickige Höhlenluft, die hier, in über zweitausend Metern
Höhe, ohnehin viel zu dünn für den Europäer
war.
Peers Fund war eine Art Grabteller, mosaikartig
besetzt mit seltsamen Steinen, die in verschiedenen Blautönen
leuchteten.
Leuchteten?
Tatsächlich schienen die Steine eine eigene
Leuchtkraft zu entwickeln. Peer griff nach einem Wachstuch, das
eigentlich zum Einwickeln der Fundstücke gedacht war und warf
es über die Petroleumlampe.
Tatsächlich. Die Steine leuchteten im Dunkeln.
Nachdenklich starrte Andressen den Fund an. Dann fasste er einen
Entschluss und steckte den Teller in seine Leinentasche.
Vierzehn Tage später wurden die Ausgrabungen
beendet. Die Unruhen im Iran waren eskaliert und das Institut für
Archäologie in Teheran musste schliessen. Die Polizei konnte
für die Sicherheit von Ausländern in den entlegenen Gebieten
des Landes nicht mehr garantieren. Andressen verliess das Land per
Zug in Richtung Türkei. Die Grenzsicherheit, vor allem mit
der Suche nach Islamisten beschäftigt, verzichtete auf eine
Durchsuchung des Gepäcks des Schweden.
01. ENTDECKEN
1998.02.11
Geologisches Institut, Berlin
Rubens Schroeter wickelte die Probe vorsichtig
aus dem Wachstuch. Diesmal versprach die Arbeit etwas interessanter
zu werden - die zu untersuchende Probe war definitiv kein langweiliger
Gesteinsbrocken aus irgendeiner Kohlegrube in Polen. Schroeter legte
das Objekt auf seinen riesigen Arbeitstisch und richtete eine Halolampe
darauf.
Eine Art Teller, wahrscheinlich Messing, verziert
mit einem seltsamen Mosaik aus verschieden blauen Steinen. Irgendetwas
schien nicht... Schroeter griff nach der Lampe und schaltete sie
aus.
Die Steine leuchteten. Schwach - aber immerhin.
Sofort griff sich Schroeter eine Bleischürze aus dem Schrank.
Der Teller war aus der Archäologie gekommen, ein Fundstück,
dass die Kripo auf dem Kunstschwarzmarkt bei einem stadtbekannten
Hehler beschlagnahmt hatte. Persisch - aber eben nicht ganz. Da
der zuständige Kurator mit den Steinen nichts anfangen konnte,
hatte er das ganze Stück an die Geologie weitergeben lassen
mit dem Auftrag, den Alter des Tellers und die Natur der Steine
zu bestimmen.
Ein blaues Leuchten.
Schroeter, nun vorsichtig geworden, schob zwei
Bleiglasplatten auf einem Fahrgestell zwischen den Arbeitstisch
und der Eingangstüre - schliesslich herrschte draussen Durchgangsverkehr
- und wenn diese Steine wirklich radioaktiv...
Der Geologe musste erst die Batterien im Geigerzähler
auswechseln - was sich als grösseres Unterfangen erwies: Das
Gerät stammte noch aus den Beständen der ehemaligen DDR
und fasste nur GE-Batterien - klotzige, unhandliche und nicht sehr
effektive Teile. Schliesslich schlug der Geigerzähler bei Schroeters
Test - den Leuchtziffern seiner Armbanduhr - positiv an. Er stellte
das Gerät auf den Tisch und zog die Sonde über den Teller.
Kein Ausschlag.
Erneut die Uhr - ein leichter Aussschlag.
Schroeter schüttelte den Kopf und griff nach
dem Telefonhörer.
02. REISEN
2000.04.31
Astara, Azerbeydzhanskaya
Der Hubschrauber passierte die Sümpfe südwestlich
von Neftechala mit Höchstgeschwindigkeit.
"Also das ist eine ganz verrückte Sache!" brüllte
mir Claude zu. Das Geknatter des alten russischen Helikopters machte
eine normale Unterhaltung unmöglich. "Dieser Geologe hat
den Teller also tagelang untersucht und einige Proben des Minerals
an das Forschungszentrum in Karlsruhe geschickt. Muss ein ganz schöner
Trubel gewesen sein - all diese Millionen schweren Apparate konnte
das Zeugs einfach nicht zuordnen. Also haben sie angefangen nachzuschauen,
was sie damit anfangen können. Weiss Gott, was an Möglichkeiten
haben, ich habe versucht den geologischen Bericht zu lesen, das
Ding ist vierhundert Seiten dick.
Also - nach fast zehn Monaten hat es einer der Physiker an einen
Freund gegeben, so einen Spinner für abstruse Theorien. Und
der hat es dann herausgefunden."
Der Hubschrauber hatte den Sumpf nun hinter sich gelassen und flog
in geradem Südkurs den Strand entlang nach Süden. Diese
Gegen konnte man nicht gerade als Hort der Zivilisation bezeichnen
- ein paar wenige Dörfer mit schlechter Infrastruktur und ziemlich
vielen Arbeitslosen.
"Also dieses Zeugs stellt eine Art energetischen Katalysator
dar. Bransons hat es versucht mir zu erklären. Also es gibt
da diese höheren Energieebenen. Wie ein Stausee - wir sind
auf einem niedriegerem Niveau und dieses blaue Zeugs sorgt dafür,
dass es ein Loch im Staudamm gibt - durch dieses fliesst Strom in
Turbinen und den kann man nutzen." Claude strahlte im Glauben,
dass er etwas so kompliziertes begriffen hatte. Ich lächelte
zurück, im Wissen, dass man Claude absoluten Bullshit erzählt
hatte. Stausee!
(wird fortgesetzt)
.
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