Der Untergang der DDR!
3. Oktober 1989
Erich Honecker zieht die Notbremse und setzt den Visafreien Reiseverkehr
in die CSSR aus. In
Prag haben zu dieser Zeit Tausende DDR-Bürger Zuflucht auf
dem Botschaftsgelände der Bundesrepublik gesucht. Von hier
aus wollen sie ihre Ausreise erzwingen.
Honecker tobt - die "Genossen" in der CSSR zeigen keinerlei
Absicht, die BRD Botschaft abzuschirmen, Gorbatschow hat in seinem
eigenen Land genug zu tun.
Die Versuche, die Fluchtwelle im Neuen Deutschland als "Menschenhandel"
oder "Provokation bestimmter Kreise" zu verkaufen, sind
aussichtslos - die Bewohner im Arbeiter- und Bauernparadies wissen
sehr wohl, was da passiert - die Tagesschau der ARD erzielt im Osten
Traumquoten.
4. Oktober 1989
Honecker gestattet den Botschaftsflüchtlingen (über 10.000
Bürgern) die Ausreise in den Westen. Doch hier unterläuft
ihm ein Fehler - um ein letztes Mal "Macht" zu beweisen,
sollen die Züge über das Hoheitsgebiet der DDR in die
Bundesrepublik fahren.
Informiert durch die Westmedien, versammeln sich bereits in den
frühen Abendstunden über zwanzigtausend Menschen vor dem
Bahnhof in Dresden.
Mehrere Hundertschaften der Volkspolizei versuchen, den Bahnhof
abzuriegeln. Die Polizei, in Aufruhrbekämpfung ungeübt,
zeigt sich von der Situation überfordert. Bald fliegen Steine,
brennen Autos. Doch nicht nur in Dresden eskaliert die Situation
- überall entlang der vermuteten Strecke versuchen Tausende
von Polizisten, die Menschen von den Gleisen und aus den Bahnhöfen
zu drängen.
Gegen
22 Uhr brennen Dutzende Polizeifahrzeuge, gegen
22:30 Uhr eskaliert die Lage endgültig - ein Polizist schießt
in Panik das Magazin seiner Maschinenpistole leer und tötet
dabei sechs Demonstranten - sieben weitere werden schwer verletzt.
Ein anwesendes RTL-Kamerateam filmt den Abtransport der Toten, spricht
jedoch aus einer falschen Information heraus von einem gezielten
Einsatz von Schusswaffen.
5. Oktober 1989
Mit rund zwanzigstündiger Verspätung rollen die
Züge durch Dresden. Der Bahnhof gleicht
einem Kriegsschauplatz - mehrere umgebende Häuser stehen in
Flammen, die Reisenden in den Zügen, unter denen sich auch
mehrere Reporter und Journalisten aus dem Westen befinden, berichten
von Schreien und einzelnen Schüssen. Das RTL-Team wird nach
dem falschen Bericht festgenommen, Dresden für Westbürger
abgeriegelt.
In Freiberg, Reichenbach, Plauen und Bad Brambach stürmen aufgebrachte
Bürger die Polizeistationen - erstmals gelangen Demonstranten
an Waffen. Die Vertreter der Oppositionsbewegung versuchen das Gewaltpotential
unter Kontrolle zu halten, Regierungskreise jedoch verhindern eine
Verbreitung der Botschaften und bringen sich damit selbst in Bedrängnis.
Die Regierungszeitschrift "Neues Deutschland" spricht
von einer Hetze durch die Westmedien, tut jedoch nichts, um die
Hintergründe des "Bahnhof-Massakers" aufzuklären.
Gerüchteweise ist nun von bis zu dreißig Toten die Rede.
Am Flughafen von Journalisten auf die Ereignisse in Dresden
angesprochen erklärt Honecker, es sei "alles normal, alle gehen
ihrer Arbeit nach."
6. Oktober 1989
Die DDR-Führung bereitet sich auf den 40. Geburtstag auf ihre
ganz eigene Art vor - sie lässt alle namhaften Führer
der Opposition in den frühen Morgenstunden verhaften. über
sechstausend Menschen wandern in vorbereitete Auffangcamps, bewacht
von Einheiten der Grenztruppen und des Ministeriums für Staatssicherheit.
Keine Verhöre, keine Richter - nur ein "Wegschluss".
In
den Mittagsstunden landet Michail Gorbatschov auf dem Ost-Berliner
Flughafen. Zum Verdruss Honeckers jubeln Tausende Menschen dem Gast
zu, skandieren "Gorbi! Gorbi!", "Gorbi! Hilf uns",
"Perestroika" und "Glasnost!". Honecker zeigt
sich intern verärgert, macht aber während der Rede Gorbatschovs,
die erstmals in der Geschichte der DDR NICHT direkt übertragen
wird, gute Miene zum seiner Meinung nach bösen Spiel.
Am Nachmittag dann Alarm - mehrere Tausend
Demonstranten haben sich am Alexanderplatz versammelt und marschieren
auf den Palast der Republik zu. Aus den riesigen Fenstern des Gebäudes
können die Gäste zusehen, wie die Menschenmenge, nur mühsam
von der Polizei in Schach gehalten, anwächst.
Gegen Abend brennen wieder die Fahrzeuge, fliegen Molotov-Cocktails,
werden Barrikaden errichtet. Im Palast verfliegt die Festtagsstimmung,
Gorbatschov muss fassungslos mit ansehen, wie sich Honecker der
Realität verschließt und die Stasi und Polizei anweist, "das
ganze Pack wegzuschließen!". An diesem Abend verliert das
DDR-Regime seinen Kredit bei der Ost-Berliner Bevölkerung,
die materiell im Vergleich zum Rest der Republik ja noch recht gut
dasteht. Über einhunderttausend Menschen werden auf dem Alexanderplatz
gezählt, als sich Gorbatschov kurzfristig entschließt, dort
eine Rede zu halten.
Honecker hört die Rede über einen Fernsprecher mit versteinerter
Miene mit.
7. Oktober 1989
Der Tag, an dem die DDR 40. Jahre alt wird. Honecker nimmt zusammen
mit seinen Gästen die Parade der NVA ab, während in der
Ferne die Rufe der Demonstranten zu hören sind. Gegen 15 Uhr
beginnt die Polizei mit der gewaltsamen Auflösung der Demonstrationen,
nicht nur in Ost-Berlin sondern auch in Halle, Leipzig, Dresen,
Plauen und Magdeburg. Tausende Jugendlicher, einige in den Uniformen
der Jungen Pioniere, randalieren am Prenzlauer Berg. Gegen 21 Uhr
sind die Demonstrationen niedergeknüppelt - ein Plakat mit
der Aufschrift "Happy Birthday, Polizeistaat!" liegt zertrampelt
am Boden.
8. Oktober 1989
Dank Westmedien waren die Polizeiprügel auf den Straßen der Hauptstadt
der DDR auch in der entferntesten Wohnstube bekannt geworden. Nie
zuvor war der Widerspruch zwischen dem Pathos des Offiziellen und
der Wirklichkeit der Straße so krass. Die Bevölkerung beginnt sich
sichtbar abzuwenden und sagt offen ihre Meinung. Hoffnung macht
sich breit, verbunden mit dem Namen Gorbatschows. Beim Besuch eines
Berliner Großbetriebes wird er gefeiert. Arbeiter hängen an seinen
Lippen und warten auf befreiende Worte. Sein Appell geht um die
Welt: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."
Nur wenige Stunden später ruft er bei einem Treffen mit Mitgliedern
der Partei- und Staatsführung Erich Honecker zum Umdenken auf.
In
ihrer Isolation rückten die Regierungen der DDR und China näher
zusammen, "Eisiges Schweigen schlägt ihm entgegen, beschreibt
Valentin Falin 1993 die Begegnung in seinem Buch "Politische Erinnerungen".
Freundlicher geht es an diesem Tag beim Gedankenaustausch zwischen
Erich Honecker und dem stellvertretenden chinesischen Premier Yao
Yilin zu. Im Kommunique beteuern beide, dass sie "eine grundsätzliche
Lehre aus dem konterrevolutionären Aufruhr in Peking" gezogen haben.
Die Menschen in der DDR hören diese Drohung.
9. Oktober 1989
Kaum ist der hohe Gast aus Moskau abgereist, macht sich Honecker
daran, dass "Problem mit den Krawallmachern" auf seine
Art zu lösen. Während sich die Demonstranten, wie jeden
Montag, in Leipzig vor der Nikolaikirche versammeln, rollen seit
den frühen Morgenstunden kasernierte Einheiten der Volkspolizei,
der NVA und der Betreibskampftruppen durch die Stadt. In den Nebenstrassen
der Altstadt stehen Panzerwagen, Wasserwerfer und Rettungswagen
bereit. In den Krankenhäusern werden ganze Stationen geräumt,
Blutkonserven in großen Mengen bereitgestellt. Anreisende werden
am Bahnhof und den Zufahrtsstrassen abgefangen, der Zutritt zur
Stadt verweigert.
Nachdem
die Stasi die Nikolaikirche abriegeln kann, versammeln sich die
Menschen auf dem Marxplatz. Über siebzigtausend Menschen marschieren
auf die Zentrale der Stasi zu, unsicher, ob die Staatsmacht wieder
Waffen einsetzen wird.
Am Bahnhof schließlich kommt es zur Explosion.
Als einige Hundert angereister Jugendlicher sich den Zugang zur
Stadt erzwingen wollen, erteilt ein labiler und fanatisierter Leiter
einer Betriebskampftruppe den Schiessbefehl. Der Befehl wird nur
von einem Drittel seiner Leute ausgeführt - das reicht jedoch,
um 26 Jugendliche zu töten, über vierhundert zu verletzen.
Nun kommt es zum Bruch innerhalb der Truppen - ein Leutnant erschießt
den Betriebskampftruppenleiter, wird seinerseits von einem jungen
Volkspolizisten erschossen. Das Scharmützel breitet sich schnell
aus - Vopo schießt auf Stasi, Stasi auf NVA, Demonstranten reißen
Waffen an sich und schießen mit. Über Funk
fordert der Leiter der Volkspolizei in Leipzig seine Leute auf sich
zurückzuziehen. Er wird, bei eingeschaltetem Mikrophon, durch
einen Schuss von einem Stasi-Mann schwer verwundet. Zu Hunderten
entledigen sich Polizisten und Soldaten ihrer Uniformen und marschieren
mit den Demonstranten - aber nicht ohne die Waffen mitzunehmen.
Gegen Mitternacht melden die Krankenhäuser eine Belegung von
170 Prozent - aus den Nachbarstädten wird medizinisches Personal
angefordert. Zur gleichen Zeit kappen Techniker die Kommunikationsleitungen
aus der Stasi-Zentrale. Die Leitung wird blind - aber nicht stumm.
Über Funk geht der letzte Befehl heraus "Staatsnot - schützt
die DDR".
10. Oktober 1989
Das Westfernsehen zeigt Leipzig unter einer
Rauchwolke. Über zweihundert Tote. Fast zehntausend Verletzte.
Die Gefängnisse, noch unter der Kontrolle der Stasi, überfüllt.
Bahnhof, Rathaus, Polizeipräsidium, Wasserwerk, Telefonzentrale
in der Hand der Opposition. Den "Aufständigen".
Honecker ist gebrochen, den ganzen Tag nicht ansprechbar. Erich
Mielke hingegen zeigt sich nach außen hin unbeeindruckt, und befiehlt
Verstärkung nach Leipzig.
Doch die Räder rollen nicht wie sie sollen - nur vierzig Prozent
der Einheiten setzen sich in Bewegung, der Rest verweigert den Befehl.
Auch wenn sich die Einheiten nicht offen auf die Seite der Opposition
schlagen - für das ZK bedeutet dies eine Niederlage. Alleine
auf die Stasi- und Grenzsicherheits-Truppen können die alten
Männer noch zählen.
In Ost-Berlin zeigen sich Egon Krenz und Markus Wolff öffentlich
im Gespräch mit Oppositionellen.
Der Abend bleibt ruhig - kaum Demonstrationen, keine Unruhen. In
Leipzig ziehen sich die Kontrahenten in ihre "Gebiete"
zurück.
11. Oktober 1989
Die Befehle, Leipzig zu "befrieden",
werden nicht befolgt. Während die DDR im Zentrum des Weltinteresses
steht, hadert Honecker mit seinem Schicksal. Schließlich der Bruch
- um 15 Uhr ruft das ZK, das ohne Wissen seines Vorsitzenden getagt
hatte, den Generalsekretär zu sich.
Am Abend finden die Menschen wieder auf die Strasse. Praktisch unbehelligt
von den Sicherheitsorganen, skandieren über eine Millionen
Menschen ihre Botschaft "Wir sind das Volk!". Keine Verletzten,
keine Toten, keine brennenden Fahrzeuge. Die Revolution findet zurück
in friedliche Bahnen.
Kurt Hager, ZK-Sekretär für Kultur, der Berliner Bürgermeister
Krack, Manfred Gerlach, Vorsitzender der LDP - sie schlagen sich
öffentlich auf die Seite der Opposition.
12. Oktober 1989
Erich Honecker gibt dem Druck des ZK nach und erklärt im DDR-Fernsehen
seinen Rücktritt. Ein Nachfolger wird noch nicht benannt.
In Leipzig räumen die Demonstranten die besetzten Gebäude.
Alle Festgenommenen aus der Nacht zum 10. Oktober werden freigelassen.
Dieser Abend bleibt ruhig.
13. Oktober 1989
Günter Schabowski wird Vorsitzender der SED, Egon Krenz Staatsratschef
der DDR.
Doch das Volk nimmt dies nicht als Neuanfang hin. Über die
nächsten Wochen nimmt der Druck seitens der Bürger zu.
Friedlich werden die Stasi-Zentralen in Halle, Dresden und Magdeburg
besetzt, Akten vernichtet oder gesichtet. Ohne den Sicherheitsapparat
zeigt sich das ZK machtlos.
Am 26. Oktober verkündet Schabowski die Visafreie
Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Damit öffnet sich
für die SED die Büchse der Pandora - es gibt kein zurück.
Am 7. November begrüßt Krenz den westdeutschen Bundeskanzler
Helmut Kohl zu einem Staatsbesuch. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
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